Was ist Purpose? Und was steckt hinter dem Begriff Sinn? Auf jeden Fall nicht das Gleiche! Gerade jetzt, in Zeiten größter Krisen, ist es wichtig, dass wir keine Zeit mit trendigen Purpose-Workshops verlieren, sondern uns Sinn in seiner eigentlichen Bedeutung widmen: Denn nur mit Sinn können wir wichtige Veränderungen bewirken. Doch wie kann uns das gelingen – als Unternehmen und Privatpersonen.

Purpose als hippes Kommunikationstool darf nicht mit Sinn in seiner ursprünglichen Bedeutung verwechselt werden!

Wir müssen hier nicht der gleichen Meinung sein, aber mindestens sollten wir klären, worüber genau wir diskutieren. Allein die direkte Übersetzung des englischen Wortes purpose ins Deutsche – nämlich Zweck – im Gegensatz zur Übersetzung von meaning – nämlich Sinn – impliziert eine klare Abgrenzung der beiden Begriffe.

Nuegierig geworden? Hier geht’s zum kompletten Gastbeitrag im Wirtschaftsmagazin STRIVE.

Wie war das noch gleich bei den alten Philosophen: „Der Weg ist das Ziel“? Wenn das mal so einfach wäre… Es gibt Phasen im Leben, die wenig spektakulär und irgendwie mühsam sind. Sie gehören weder zum aufregenden Beginn eines Jahres oder Projektes, noch krönen sie den grandiosen Abschluss desselbigen. Als jemand, der mehrere Halbmarathons gelaufen ist, kann ich bestätigen: diese Phasen fühlen sich an wie die mittleren Kilometer eines Langstreckenlaufs. Irgendwie ‘stuck‘.

Da wir aber nicht die einzigen sind, steckengeblieben in diesen Mittelstreckenabschnitten, und viele von uns ganz gut da durchkommen, muss es mindestens eine Erklärung geben, wie wir den Alltag auch – und gerade – in diesen Zwischenphasen annehmen und sogar genießen können. Aber wie?

Vielleicht, indem wir durch diese Phasen Stabilität erhalten oder eigene Routinen entwickeln, um unser Wohlbefinden zu fördern. Vielleicht aber auch, weil Mittelstrecken Möglichkeiten sind, sich eigene Werte bewusst zu machen und den Fokus gezielt darauf auszurichten, anstatt von der nächsten Herausforderung überwältigt zu sein.

Am Start eines Langstreckenlaufs sind wir aufgeregt und voller Neugier – wie so oft bei neuen Dingen, Themen oder Projekten!

Wie wird der Lauf gelingen? Wie wird sich unser Körper anfühlen? Kriegen wir unser Tempo gut in den Griff, nicht zu schnell und nicht zu langsam? Wir sind voll konzentriert und wollen loslegen. Heute ist DER Tag! Gut vorbereitet, neugierig und offen für neue Erfahrungen.

Aber in unserem Alltag ist eben nicht jeder Tag DER Tag. Im Alltag folgt ein Tag dem anderen. Wir sind nicht jeden Tag gut vorbereitet, neugierig und wissbegierig. Im Gegenteil: gerade in den dunklen, eher tristen Wintermonaten scheint das Tageslicht gar nicht zurückkommen zu wollen und wir lechzen nach mehr Energie, mehr Eifer, mehr Abenteuer. Unser Alltagstrott dagegen fühlt sich eintönig an.

Genau das ist das Schwierige an solchen Mittelstrecken: Wir können diesen Umstand nicht ändern, sie gehören zum Leben dazu. Doch wir können eine andere Haltung zu ihnen einnehmen.

Im Buddhismus gibt es das Prinzip des „Beginner’s Mind“, am besten zu übersetzen mit „Anfängergeist“. Im Kern geht es darum, sich einer neuen Aufgabe so zu nähern, wie man es als Anfänger tun würde: gespannt, neugierig und ohne voreingenommen zu sein.

Auch im Alltag können wir diesen Anfängergeist nutzen, um vermeintliche Durststrecken zu überwinden. Anstatt morgens einfach nur schnell fertig zu werden, könnten wir uns dem Tag mit Neugier stellen.

Stellen wir uns vor, den Kaffee zum allerersten Mal zu riechen – was nehmen wir wahr? Und wie wäre es, wenn wir den Weg zum Einkaufen heute zum ersten Mal gehen würde – auf was würden wir achten? Was würden Kinder feststellen, die noch nie in einem Supermarkt waren? Was würde uns auffallen, wenn wir einen Blick von außen auf den aktuellen Projektstatus werfen würden?

Mit der Haltung des Anfängers kann es gelingen, Kilometer acht bis zwölf unseres Halbmarathons mit Freude und Leichtigkeit anzugehen: Sprich, den tristen Februar, die langwierige Zwischenphase des Projektes und den eingefahrenen Alltag neu zu betrachten. So kann der Mittelteil sogar zum Mittel für unser Wohlbefinden werden.

Doch die Krux liegt darin, dass der Mittelteil überhaupt Mittelteil ist.

Bei einem Langstreckenlauf macht das Sinn, es gibt schließlich einen klar definierten Startpunkt und ein eindeutiges Ziel. Dazwischen? Die Mittelstrecke, genau. Aber wenn wir uns aus dem Moment „herauszoomen“, dann ist selbst ein gesamter Lauf nur ein Mittelteil in dem Feld, in dem wir uns langfristig körperlich betätigen wollen. Und noch weiter herausgezoomt: ist jede Etappe unseres Lebens genau genommen ein Mittelteil.

Im Rückblick auf unser Leben – also einmal ganz stark „herausgezoomt“ – waren zum Beispiel zwei Jahre Pandemie vielleicht erst der Anfang von einer großartigen Phase der Persönlichkeitsentwicklung. Oder die vier langen Wintermonate dienten mit viel Lesen und Recherchieren rückblickend nur der Vorbereitung für all die Ausflüge, die wir im Frühjahr umgesetzt haben.

Ist dann wirklich der Weg das Ziel? Nun, wie so oft ist es eine Frage der Perspektive.

Der Autor James Clear vertritt hier einen ziemlich radikalen Standpunkt. Aus seiner Sicht führen konkrete Ziele ohnehin nur zu einer Bandbreite von Problemen.

Eines dieser Probleme ist, dass das Erreichen eines Ziels nur eine vorübergehende Veränderung ist – Stichwort Perspektivenwechsel. Wenn beispielsweise das Ziel ist, mal so richtig aufzuräumen und zuhause „klar Schiff“ zu machen, kann dieses Ziel durchaus erreicht werden. Das ändert aber gar nichts daran, dass jemand mit Hang zu einer generellen Unordnung ohne Struktur immer wieder vor das gleiche Problem gestellt wird. Nur weil das Aufräumen einmal gelingt, wird die Wohnung nicht dauerhaft ordentlich sein.

Ein anderes Problem von Zielen ist, dass Gewinner und Verlierer genau die gleichen Ziele haben.

Im Fall von Langstreckenläufen waren der erste und der letzte Läufer bei den olympischen Spielen und beide hatten das Ziel, den Marathon zu gewinnen. Gewonnen hat ihn trotzdem nur einer der beiden. Und das, obwohl beide mit genau dem gleichen Ziel an den Start gegangen sind, nämlich diesen Lauf zu gewinnen.

Wenn klare Ziele nur einzelne Sprints im Leben ermöglichen, und aus uns Verlierer und Gewinner machen, muss es noch einen anderen Schlüssel zur Bewältigung der zähen Mittelstrecken geben.

Schließlich soll es uns auch in diesen Phasen gut gehen, wir wollen körperlich gesund und innerlich im Gleichgewicht sein. Wenn jedes Ziel aber nur einen weiteren Abschnitt markiert, worin liegt dann der Schlüssel, dauerhaft in diese Balance und damit in ein Wohlbefinden zu kommen?

Fokus auf unsere Identität und das, was uns als Personen ausmacht, sagt James Clear. Was ist es, wofür wir selbst stehen wollen und wofür wir uns einsetzen wollen? Wie soll unsere Zukunft aussehen und was können wir dazu beitragen? Was ist es, was uns so am Herzen liegt, dass wir bereit sind, immer wieder einzelne Abschnitte zu gehen?

Indem wir uns selbst mit unserer Identität ins Visier nehmen anstatt das nächste konkrete Ziel, können wir jeden Tag dazu beitragen, diesem Bild von uns in der Zukunft näher zu kommen. Dabei wird es gleichgültig, in welchem Abschnitt unseres Laufs wir uns befinden.

Denn wir haben etwas wichtigeres für uns erkannt: wir können jeden Tag entscheiden, wer wir einmal gewesen sein werden.

Dazu braucht es Hoffnung. Sagt Mark Manson in seinem Buch Everything Is F*cked – A Book About Hope: „The stories of our future define our hopes. And our ability to step into those narratives and live them, to make them reality, is what gives our lives meaning“ (S.70).

Das klingt erstmal groß und vielleicht sogar überwältigend: Zukunftsvisionen, Hoffnung und Sinn. Geholfen hat mir in diesem Kontext die Aussage von Florian Moritz Reister im Philosophiemagazin Hohe Luft, der darin schreibt: „Im Gegensatz zum bloßen Optimismus fragt Hoffnung nach dem Möglichen, ohne das Tatsächliche aus den Augen zu verlieren. Hoffen-Können bedeutet auch Handeln-Können“ (S. 69).

Dieses Hoffen-Können und Handeln-Können gibt uns schließlich die Möglichkeit, bewusst mittendrin zu sein anstatt ‚stuck in the middle‘. Wir wünschen uns nicht einfach etwas, sondern wir machen uns klar, was wir heute und in Zukunft tatsächlich machen können.

Die Hoffnung auf eine gute Zukunft, auf unser eigenes Wohlbefinden lässt uns den Alltag genießen und unser Wohlbefinden erhöhen. Wie schaffen wir das? Nach Mark Manson benötigen wir dafür drei Dinge: ein Gefühl der Kontrolle, den Glauben an den Wert von etwas und eine Gemeinschaft:

1. Kontrolle

Mit „Kontrolle“ ist gemeint, dass wir das Gefühl haben, unser eigenes Leben unter Kontrolle zu haben. Damit ist auch gemeint, dass wir unser Schicksal beeinflussen können und ihm nicht schonungslos ausgesetzt sind.

2. Werte

„Werte“ bedeutet, dass wir etwas Wichtiges haben (Menschen, Dinge und Themen), auf die wir uns ausrichten können. Es gibt etwas in unserem Leben, wonach es sich zu streben lohnt.

3. Gemeinschaft

„Gemeinschaft“ bedeutet, dass wir Teil einer Gruppe sind, die die gleichen Dinge schätzt wie wir. Es bedeutet, dass wir mit Menschen verbunden sind, die daran arbeiten, diese Dinge umzusetzen.

Dieser Dreiklang erscheint mir sinnvoll, denn ohne Kontrolle über das eigene Leben fühlen wir uns machtlos; ohne eine Gemeinschaft fühlen wir uns isoliert und unsere Werte haben keine Bedeutung mehr; und ohne Werte wiederum erscheint nichts erstrebenswert. Ohne das Gefühl, wir könnten den Langstreckenlauf gut schaffen und seine Bedeutung für unser Leben, würden wir ja auch nicht an den Start gehen.

Es wird wohl nie eine finale Antwort darauf geben, ob der Weg wirklich das Ziel ist, aber es gibt hilfreiche Hinweise, wie wir wahre Meister der Mitte werden können.

So können wir immer wieder im Alltag einchecken und uns folgende Fragen stellen:

  • Was ist für mich so wichtig, dass es nicht nur ein Etappenziel, sondern ein Wert in meinem Leben darstellt? Welche Aspekte möchte ich durch meine Identität und mein Handeln zum Ausdruck bringen?

  • Was kann ich heute tun und konkret beeinflussen, was meinen Alltag verbessert, egal wie groß oder klein?

  • Mit wem kann ich meine Kräfte bündeln, weil wir die gleichen Dinge schätzen? Wen kann ich anrufen, wenn ich mich ‚stuck‘ fühle und mit wem kann ich konkret ins Handeln kommen?

Während ich diese Zeilen schreibe, zeigt sich die Sonne zwischen den Wolken und ich höre ein paar Vögel zwitschern. Ein erster Hinweis, dass die ganz dunkle Winterphase zu Beginn des Jahres vorbei ist? Vielleicht auch eine Erinnerung, dass wir jetzt die nächste Etappe anstreben – dabei mittendrin sind und das Leben genießen. Die Laufschuhe stehen bereit.

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Erstveröffentlichung als Gastbeitrag im Mindful Blog der SenseSisters.

Die wenigsten von uns bewohnen noch karge Höhlen, ausgestattet nur mit einem Lendenschurz (vor allem nicht diejenigen, die diesen Artikel hier gerade lesen).

Nein, die meisten von uns leben in einer Wohnung oder einem Haus – umgeben von unzähligen materiellen Sachen. Das reicht von Küchenequipment inklusive Töpfen, Besteck und Küchentüchern über Kleidung für festliche Anlässe und unsere gemütlichen Sportoutfits bis hin zu Zahnpasta, Handcreme, Shampoo und Co.

Was davon uns jeder einzelne im Alltag wirklich braucht, können wir selbst entscheiden. Und uns selbst verdeutlichen, indem wir uns auf einem langen Kontinuum von „Sammler“ bis „Minimalist“ einordnen. Ohne, dass man hier eine wissenschaftliche Skala zugrunde legen müsste (oder gar könnte), haben wir alle wohl ein Gefühl, wo in etwa wir uns und unser Sammel- bzw. Kaufverhalten verorten würden.

Geht es allerdings um den Wert der Dinge, die uns umgeben, wird es schwieriger. Hier gibt es keine einfache Messlatte, sondern eher einen multidimensionalen Raum, in dem der Wert (oder die Werte?) einer Sache bestimmt wird.

Dass wir uns nur mit Dingen umgeben sollten, die in uns Freude auslösen, haben wir bereits vor Jahren von Marie Kondo lernen können. Die Grundidee ihrer Konmari-Methode klingt klug und nachvollziehbar: nur das behalten, was Glücksgefühle entfacht („spark joy“). Wenn ich an meine ausgetragene Jeans denke, die nicht mehr richtig sitzt, oder aber an die alte CD-Rom, deren Daten längst auf einem kleinen USB-Stick gespeichert sind, frage ich mich schon, was ich noch damit soll. Diese Dinge bereiten mir sicher keine Freude mehr.

Aber was ist mit dem Staubsauger oder mit dem Abflussreiniger, die bei mir ordentlich verräumt sind und auf ihren regelmäßigen Einsatz warten? Freude lösen diese Dinge sicher nicht aus. Aber das, was aus ihrer Nutzung entsteht, gibt mir ein gutes Gefühl im Alltag und, manchmal wichtiger: Klarheit in meinen Wohnräumen, also in meiner direkten Umgebung (nämlich saubere Böden und freie Abflüsse). Und das ist extrem wertvoll für mich.

Geht es also vielleicht auch um das, was wir mit einer bestimmten Sache erzielen, also eher um den funktionalen Nutzen von etwas?

Der betriebswirtschaftliche Teil meines Herzens schlägt hier gleich höher: nun kommen wir der Sache bestimmt näher – ganz sprichwörtlich! Es geht um Nutzenmaximierung, persönliche Präferenzen, materielle Profite, … – das alles muss doch ganz klar den Wert unserer Besitztümer bestimmen. Oder? Je nach dem, wie hoch die Zeit- oder Kostenersparnis ist, desto mehr schätze ich das Teil. So die These. Der Staubsauger steht also hoch im Kurs (deswegen durfte er wohl auch trotz Marie Kondo bleiben)!

Soweit so gut. Nehme ich jetzt die feine, aber einfache Perlenkette, die ich von meiner Oma geerbt habe und die seit mehr als zehn Jahren im Schmuckkästchen liegt, komme ich wieder ins Grübeln: einen wirklichen Nutzen in Bezug auf Kosteneinsparung oder Effizienzsteigerung im Haushalt bringt sie nicht. Und richtig wertvoll ist sie aus materieller Sicht auch nicht. Freude bringt sie mir aber doch, eine ganze Menge sogar – und das fühlt sich wertvoll an für mich.

Wodurch entsteht nun am Ende ein Wert? Was heißt es genau, den Dingen ihren Wert zu geben?

Die Perspektive des Marketings eröffnet hier eine weitere Sichtweise: eine Sache, also ein Produkt, kann neben einem funktionalen, durchaus auch einen emotionalen Wert haben oder gar einen spirituellen.

Dazu würde auch passen, wovon die Beatles schon gesungen haben: „Money can’t buy you love“. In Bezug auf unser Wohlbefinden geht es um mehr als den rein finanziellen oder materiellen Wert einer Sache. Im Jahr 2010 wurde dies dann auch in einer wissenschaftlichen Studie von Daniel Kahnemann und Angus Deton gezeigt: ab einer bestimmten Einkommensgrenze werden wir Menschen durch mehr Geld nicht glücklicher – zumindest unter der Bedingung, dass unsere existentiellen Bedürfnisse wie Schlaf, Essen, Sicherheit befriedigt sind.

Diese Forschungsergebnisse machen durchaus Sinn, wenn man überlegt, dass eine teure Uhr aus Gold zwar zuverlässig die richtige Uhrzeit anzeigt, unsere Zeit aber nicht vermehren kann.

Der Zusammenhang zwischen dem materiellen Wert einer Sache und dem persönlichen Wohlbefinden wird schon seit Langem beobachtet und hat sich über die Jahrzehnte nicht wirklich verändert. Eine der weltweit umfangreichsten Studie zum Thema „Happiness“ Deton wurde im Jahr 1938 gestartet und untersucht bis heute Faktoren, die zu persönlichem Wohlbefinden beitragen, dazu gehören unter anderem psychosoziale oder biologische Faktoren. Die Kernaussage dieses groß angelegten Forschungsprojektes?

Enge Beziehungen, mehr als Geld oder Ruhm, halten die Menschen ihr ganzes Leben lang glücklich, so die Studie. Diese Bindungen – nicht aber materielle Besitztümer – schützen die Menschen vor Unzufriedenheit im Leben; sie helfen, den geistigen und körperlichen Verfall zu verzögern; und sie sind bessere Prädiktoren für ein langes und glückliches Leben als soziale Klasse, IQ oder sogar Gene.

Was aber bewegt mich dann trotzdem dazu, die Perlenkette meiner Oma bis heute so zu schätzen und nicht bei nächster Gelegenheit auszusortieren? Weil mein Herz daran hängt.

Im Buch „Undinge des deutsch-koreanischen Philosophen Byung-Chul Han findet man dazu folgenden Gedanken: „Der Besitz wird verinnerlicht und mit psychischen Inhalten aufgeladen. Die Dinge in meinem Besitz sind ein Behälter von Gefühlen und Erinnerungen. Die Geschichte, die den Dingen durch einen langen Gebrauch zuwächst, beseelt sie zu Herzensdingen.“

Das leuchtet mir ein. Auch meine Kette ist mit einer Geschichte „beseelt“: die Geschichte, dass sie meine Oma von ihrem Mann geschenkt bekam, und zwar zu ihrer bestandenen Meisterprüfung im Schneiderhandwerk. Mein Opa muss mächtig stolz auf sie gewesen sein. Auf dem verschnörkelten Goldverschluss der Kette sind das Prüfungsdatum und ihr Spitzname eingraviert. Da schwingt tiefe Zuneigung und Liebe mit.

Es wird klar: an dieser Kette hängen nicht nur feine Perlen, sondern auch meine Erinnerungen – an meine Oma und ihren Mann, an ihr Leben und ihre Gefühle. All das ist Teil ihres Erbes an mich und das ist mehr wert als eine Messlatte es ausdrücken könnte.

Vielleicht sind es dann auch nicht die super lässigen Laufschuhe an sich, sondern ihr Effekt: dass ich mich mit ihnen noch besser bewegen und trainieren kann, mich gesund und frei fühle? Vielleicht geht es bei der kleinen Tasche, die ich in Laos gekauft habe, gar nicht darum, wie viel sie gekostet hat, sondern dass sie die Erinnerungen an einen ganz besonderen Urlaubsmoment in sich trägt.

Das würde zum einen zu der Forderung von Marie Kondo passen, dass die Dinge in unserem direkten Lebensumfeld Freude entfachen sollen; zum anderen aber auch nicht ausschließen, was die Wissenschaft sagt: dass es mehr um stabile Beziehungen und emotionales Wohlbefinden geht, als um materielle Besitztümer. Doch die können durch ihren funktionalen Nutzen durchaus zu mehr Lebenszufriedenheit beitragen.

Wertebestimmung ist nicht eindimensional, immer mehrdimensional, heißt, von mehreren Seiten zu betrachten.

Was wir jedoch festhalten können, sind folgende vier Einsichten:

1. Eine Sache, viele Werte:

Jede Sache kann grundsätzlich unterschiedliche Arten von Wert haben, die unseren Alltag bereichern: es kann ein funktionaler Wert sein, dessen Kraft erst in der Anwendung entsteht oder auch ein emotionaler Wert von Dingen, die uns innerlich strahlen lassen.

2. Subjektiver Wert:

Dinge in unserem Alltag können zu Trägern von Erinnerungen oder Gefühlen werden. Damit liegt ihr Wert nicht messbar auf einer wissenschaftlichen Skala, sondern vielmehr in der tiefer gehenden Bedeutung des daran geknüpften Moments. Man denke an das erste Foto als Säugling mit unseren Eltern, in schlechter Qualität und trotzdem wunderschön; das von der Nichte gemalte Bild, was nach dem tollen Weihnachtsfest entstanden ist; oder auch der Korken der Champagner-Flasche, die bei der Einweihung der eigenen Büroräume geköpft wurde.

3. Individuelle Bedeutung:

Welchen Wert wir einer Sache geben, ist vollkommen individuell. Was meiner Nachbarin Freude bereitet, muss es bei mir noch lange nicht tun. Wir entscheiden, welchen Wert wir Dingen beimessen.

4. Bewusstsein für das Wertvolle:

Je mehr wir uns bewusst werden, warum wir bestimmten Dingen ihren Wert geben (und anderen nicht), desto mehr können wir uns mit den Sachen umgeben, die uns Kraft geben, Trost spenden oder Freude bereiten. Oder im Zweifel auch leichter davon trennen?

Vielleicht ist es schlussendlich auch gar nicht mehr so wichtig, wo genau wir uns auf dem Kontinuum „Sammler“ bis „Minimalist“ einordnen, wenn wir uns der Werte einer Sache bewusst sind.

Wir sollten es sogar feiern, dass wir nicht mehr in Höhlen wohnen, sondern Platz für Dinge haben, die wir mit Erinnerungen und Gefühlen aufladen können. So lange wir den Dingen ihren Wert geben und uns nicht mit wertlosem Zeug umgeben, werden wir unseren Alltag mit mehr Klarheit, Ruhe und Freude bestreiten. Wenn das nicht schon wertvoll an sich ist

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Erstveröffentlichung als Gastbeitrag im Mindful Blog der SenseSisters.

In unseren kühnsten Träumen konnten wir früher sein wie sie: mutig und stark, voller Kraft und Zuversicht. Retter mit spektakulären Superkräften, die sich für die Armen und gegen Gewalt einsetzten. Als Helden mit Ringelsocken, Batmobil oder magischem Umhang halfen sie, die Welt vor dem Bösen zu beschützen und inspirierten uns. Auf Bildern, in Büchern und im Fernsehen konnten wir sie erleben, nicht selten als Puppen an unserer Bettkante, die uns im Schlaf beschützten. Eben wahre Helden, die die Welt ein Stückchen besser machten. Und heute, wo – und wer – sind unsere Helden jetzt?

Träumen wir überhaupt noch in Zeiten von Pandemie, Klimakatastrophen, Wirtschaftskrise und humanitären Ausnahmezuständen?

Was kann denn noch als heldenhaft gelten, wo Vieles sowieso ausweglos erscheint? Wo sollen hier denn die Superhelden sein, die sich mutig in luftige Höhen schwingen? Wir sind doch längst am Boden der Tatsachen angekommen. Oder?

Genau so, wie auch ein außergewöhnliches Bild plötzlich angekommen war, mitten in der Nacht in einem englischen Krankenhaus. Es war zu Beginn der zweiten Corona-Welle im Herbst, als sich die Intensiv-Betten dort wieder füllten.

Auf dem Bild zu sehen: ein kleiner Junge, der mit seiner Superhelden-Figur spielt. Aber: Seine früheren Stars haben ausgedient: Spiderman und Batman teilen sich den Platz im Papierkorb. Der Junge hält seine neue Heldenfigur in die Höhe, schaut hoffnungsvoll zu ihr hoch, ihr Umhang weht beim Fliegen.

Alles ist schwarz-weiß gezeichnet, mit einer Ausnahme: das Kreuz auf der Schürze der Heldin ist rot eingefärbt. Und damit wird klar, dass es eine Krankenschwester ist, die hier Superkräfte besitzt.

Banksy „Game Changer“, 2020 (Bildquelle: Christies, https://www.christies.com/en/lot/lot-6309459)

Das Bild ist eine Antwort auf die Pandemie-Situation, mit der wir alle als Gesellschaft konfrontiert waren und weiterhin konfrontiert sind. So, wie auch Viktor Frankl selbst in schwierigsten Zeiten immer wieder Antworten gab. Immer wieder appellierte der Begründer der sinnzentrierten Psychotherapie an die Menschen, dem Leben zu antworten, und somit auch ihre Perspektive zu wechseln. Der kleine Junge im Bild macht es uns vor:

Die Zeiten haben sich geändert, die Herausforderungen auch. Der Wille zum Sinn in uns Menschen bleibt. Und der Wille zum Perspektivenwechsel?

Wie steht es um unseren eigenen Willen, dem Leben zu antworten? Das Bild der Superheldin unserer Zeit stammt aus dem Pinsel des britischen Streetart-Künstlers Banksy. Er selbst übt auf viele eine große Faszination aus, weil es ihm bis heute gelungen ist, seine bürgerliche Identität geheim zu halten. Trotzdem (oder gerade deswegen) schafft er es, eine hohe Wirkung mit seiner kritischen Sichtweise auf politische und wirtschaftliche Themen zu erzielen.

Der Titel des Gemäldes mit dem kleinen Jungen – „Game Changer“ – stellt den Bezug zu eben jener Fähigkeit von Helden her, die es ihnen ermöglicht, eine schier ausweglose Situation zu verändern. Tapfer zu sein und das Spiel zu drehen. Und damit können unsere Helden eine Antwort auf die Herausforderungen geben, die das Leben gerade an sie stellt.

Nicht nur fiktive Heldenfiguren, sondern auch wir Menschen haben diese Superkraft in uns. Nämlich dann, wenn wir uns trauen, größer und weiter zu denken, über den aktuellen Moment hinaus.

Wir können uns von uns selbst distanzieren und uns für etwas einsetzen, was größer ist, als wir selbst – so, wie es die Helden unserer Kindheit getan haben. Wir können auch heldenhaft sein, indem wir die Herausforderungen des Lebens aktiv annehmen und Situationen Schritt für Schritt verändern. Wir Menschen können einen Perspektivenwechsel vornehmen, der erst in unseren Köpfen stattfindet und schließlich konkret umgesetzt wird.

So ist es auch Viktor Frankl als Überlebendem des Holocaust gelungen, eine zutiefst schmerzhafte und lebensbedrohliche Situation zu verändern – erst in seinen Gedanken, später in seinem Alltag. Wie ist ihm das gelungen? Für ihn war es die Vorstellung, dass er in der Zukunft Vorlesungen über die Auswirkungen des Konzentrationslagers auf die menschliche Psyche halten würde, die ihm die entscheidende Kraft zum Überleben gab. Seine Vision von der Zukunft war stärker als seine Verletzungen.

So sehr seine Tage im Konzentrationslager auch von Leid und Schrecken durchdrungen waren, er dachte nicht daran, aufzugeben. Er hielt an seiner Zukunftsvision fest und blieb tapfer. „Denn kein Mensch wisse die Zukunft, kein Mensch wisse, was ihm vielleicht schon die nächste Stunde bringe“ (Frankl, 2015, S. 124). Ob er sich selbst deswegen als Held sah, wissen wir nicht.

Klar ist, dass wir viel von Viktor Frankl lernen können. Er ist ein Vorbild, wenn es darum geht, eine präzise Vorstellung unserer eigenen Zukunft zu entwickeln, obwohl und gerade wenn wir uns in einer scheinbar aussichtslosen Situation befinden.

Der Duden definiert Held als „jemand, der sich durch außergewöhnliche Tapferkeit im Krieg auszeichnet und durch sein Verhalten zum Vorbild [gemacht] wird“. Wenn wir „Krieg“ einmal gleichsetzen mit „gesellschaftlichem, ökologischem oder wirtschaftlichem Ausnahmezustand“, wird klar, warum die Krankenschwester in Zeiten einer Pandemie zur Heldin wird. Ihre Ausdauer, ihr Einsatz und ihre Tapferkeit werden zum Vorbild, auch für den kleinen Jungen im Bild.

Indem Banksy das heldenhafte Verhalten von Krankenschwestern und -pflegern in den Mittelpunkt stellt, ist ihm mit seinem Werk „Game Changer“ gelungen, den Fokus auf die guten Kräfte in der Pandemie zu lenken. Er hatte das Bild an die englische Klinik geschickt, um sich für den Einsatz der Pflegekräfte in der Corona-Pandemie zu bedanken. Sein Gemälde spricht eine deutliche Sprache, die keine fiktiven Wunschfiguren als Helden erachtet (wir erinnern uns: Batman und Spiderman landen im Mülleimer), sondern Menschen. Menschen, die mit besonders viel Herzblut, Expertise und Ausdauer handeln, aber am Ende eben doch Menschen wie du und ich.

Es ist die Zeit für Alltagshelden gekommen. Helden der Jetzt-Zeit, die wir mehr denn je brauchen.

Lasst uns also auf die Suche gehen und die Alltagshelden entdecken, denn sie können uns Zuversicht bieten und aus Krisen retten. Das sind jene Menschen, die nicht aufgeben und die sich für Veränderungen zum Guten einsetzen. Das sind Persönlichkeiten, die den Mut haben, die Zukunft anders und positiver zu denken, als sie heute erscheinen mag und damit als Vorbild dienen. Das sind Leute, die gar nicht immer laut, sondern manchmal besonders leise und beständig arbeiten und deren vermeintlich kleine Gesten zum echten Game Changer in unserem krisengeschüttelten Alltag werden.

Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird: wir müssen nicht weit schauen, denn die Helden unserer Zeit sind ganz nah. Wir sind es selbst, wenn wir nur wollen.

Wir wissen, dass wir alle eine starke Vorstellungskraft entwickeln können, so wie Viktor Frankl, der noch im Konzentrationslager davon träumte, Vorlesungen zu halten. Wir können tapfer sein in dieser Krisenzeit. Wir können ein Bild von der Zukunft entwickeln, in der wir über uns hinausgewachsen sind und die aktuellen Herausforderungen überwunden haben. Und wir können dieses Bild Stück für Stück in die Realität umsetzen und ausweglose Situationen drehen. So, wie die Superhelden uns das früher vorgemacht haben. Als Kinder erschienen uns diese Vorbilder schier unerreichbar. Doch gerade jetzt, in Zeiten von gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Krisen, liegt es an uns, heldenhaft zu handeln.

Wir wissen, dass es oft die kleinen Dinge sind im Leben, die einen Unterschied machen: das offene Ohr im Hausflur für den einsamen Nachbarn; unserer Aufforderung zum Wählen nachkommen; die extra fünf Minuten nach Dienstschluss, um der Kollegin einen Raum fürs verbale Auskotzen über die Herausforderungen im Lockdown zu geben; und auch mal das Lieblingseis bei Regenwetter und 12 Grad für die Neffen und Nichten.

Banksy hat uns mit seinem Bild der Krankenschwester daran erinnert, dass wir Menschen selbst heldenhaft sein können – hier und jetzt, in dieser verrückten Zeit.

Er hat uns daran erinnert, dass es in Krisenzeiten wie heute nicht um den (fiktiven) Retter mit spektakulären Superkräften geht, sondern darum, das zutiefst Menschliche in den Vordergrund zu stellen. So entstehen Heldengeschichten heute, nicht durch abgefahrene Special Effects oder wehende Zauberumhänge.

Die Wandlung der Krise in eine bessere Zukunft kann durch uns als Alltagshelden entstehen.

Durch unser eigenes Verhalten können wir ein Vorbild für andere sein. So können wir uns selbst retten: wenn wir den Mut haben, das Bild von der Zukunft aktiv zu gestalten – erst in unseren Köpfen, dann in unserem Alltag.

Dass die Vorbildfunktion heldenhafter Menschen neben dem eigentlichen Marktwert auch einen ideellen Wert hat, zeigte übrigens die Auktion dieses Banksy-Kunstwerks im März 2021: „Game Changer“ erzielte mit 16,8 Mio. Pfund (ca. 19,5 Mio. Euro) einen Rekordpreis. Der Erlös wurde an die britische Gesundheitsbehörde gespendet. Vielleicht auch, um noch mehr Superhelden auf ihrer Mission zu unterstützen.

 

© Ein Artikel von: Dr. Nina Bürklin.

 

 

Ich sage es gleich vorneweg: wir stecken da alle zusammen drin! In all den Anforderungen, die der bevorstehende Herbst mit sich bringt: die politischen Veränderungen, die vierte Corona-Welle, Ungewissheit in Bezug auf neue Regelungen und mögliche Einschränkungen, Sorge um unsere Lieben und deren Gesundheit. Gerade noch im Sommerurlaub (endlich mal wieder rauskommen…) und schon wieder zurück zur Normalität. Sofern man das alles noch „normal“ nennen kann.

Denn die Pandemie ist noch nicht überwunden und es scheint angesagt, sich jetzt bewusst auf die kommenden Wochen und Monate einzustellen.

Wenn Du Dich unsicher oder ängstlich aufgrund der aktuellen Situation inklusive Pandemie, den politischen Neuerungen (wenn denn dann welche kommen) und mehr und mehr Klimakatastrophen fühlst, kannst Du Dir einer Sache sicher sein: Du bist nicht alleine. In Zeiten dieser Ungewissheit steht fest, dass wir alle auf die eine oder andere Art und Weise berührt, ja gar betroffen sind

Die gute Nachricht ist: es wäre sogar ungewöhnlich, wenn wir uns nicht betroffen fühlen würden. Die schlechte Nachricht ist: das mulmige Gefühl, die Ängste oder Sorgen sind deswegen aber nicht gleich weg. Ganz im Gegenteil.

Die Ungewissheit, welche auch ein andauernder Ausnahmezustand wie die Pandemie mit sich bringt – wie lang sie noch andauern wird, wer davon getroffen wird, wie sie unser Leben ändern wird – löst Unsicherheit aus.

Und Unsicherheit fördert Angst bei uns Menschen.

Aus evolutionsbiologischer Sicht macht das durchaus Sinn. Unser Körper findet durch solche instinktiven Reaktionen einen Weg, äußere Reize einzuschätzen und entsprechend darauf zu reagieren, um mögliche Gefahren abzuwenden.

„Fight or flight“ – dem Tiger in die Augen schauen

Bei der Bedrohung durch einen wilden Tiger oder einen unbändigen Greifvogel führt die ausgelöste Angst dazu, dass Menschen besonders aufmerksam sind, um sich in dieser Gefahrensituation bestmöglich zu schützen und ihr Überleben zu sichern.

Zuständig dafür ist das limbische System in unserem Gehirn. Die Informationen unserer Sinneseindrücke werden blitzschnell über den Thalamus an die Amygdala gesendet und dort verarbeitet. In der Forschung geht man davon aus, dass sie innerhalb von Bruchteilen von Sekunden Situationen bewertet und – im Fall von Angst – die entsprechende Defensivreaktion steuert. Das Herz rast, der Blutdruck steigt, Schweiß bricht aus – alles körperliche Reaktionen, die uns auf einen Kampf oder auf die Flucht vorbereiten (übrigens noch lang, bevor wir die Angst überhaupt bewusst wahrnehmen können). „Fight or flight“. In solchen Fällen kann Angst also Leben retten.

Doch die meisten von uns sind heutzutage eher selten von wilden Tigern oder Greifvögeln bedroht – daran hat auch Corona nichts geändert. Was die Pandemie aber bei uns geändert hat, ist, dass wir trotzdem Angst haben. Und zwar inklusive all der körperlichen Symptome.

Der Unterschied zur Begegnung mit dem wilden Tiger ist, dass wir vor dieser eher subtilen, fast diffusen Angst genau nicht wegrennen oder in den Kampf gehen können.

Die ausgeschütteten Stresshormone und die körperliche Anspannung in unserem Körper werden also nicht abgebaut. Wie kann uns der wilde Tiger aber dennoch weiterhelfen?, fragst Du Dich jetzt vielleicht.

Kontrolle ist gut – Bewusstsein ist besser

Im April 2020, auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle, gab die US-amerikanische Bestseller-Autorin Elizabeth Gilbert ein Interview im so genannten TED Connect-Format zum Thema „Überforderung in der Pandemie(ein „richtiger“ TED Talk mit live Event und hunderten Besuchern vor Ort war da schon außerhalb jeder Vorstellungskraft). Am Ende beantwortete sie unter anderem die Frage einer Krankenhausmitarbeiterin, wie sie und ihr Team denn mit der Situation umgehen sollten. Alles wäre außer Kontrolle geraten, berichtete die Zuhörerin, so etwas hätte es noch nie gegeben.

Gilberts Antwort war bemerkenswert: die Annahme, wir Menschen könnten alles unter Kontrolle haben, sei von jeher falsch gewesen. So sehr wir es uns wünschen würden, so wenig könnten wir je alles unter Kontrolle haben. Der eigentliche Schock sei nicht der Kontrollverlust als solcher, sondern die Erkenntnis, dass nie alles unter Kontrolle war.

Vielleicht wirkt diese Erkenntnis für Dich jetzt entmutigend oder gar verstörend. Wenn nichts unter Kontrolle ist, was soll dann all die unangenehme Konfrontation mit Unsicherheit und Angst überhaupt?

Doch es ist genau diese Auseinandersetzung, die uns zeigt, dass wir heute besser gestellt sind als unsere Vorfahren. Der wilde Tiger heißt heute vielleicht Pandemie. Und Bedrohungen, die Angst auslösen, gibt es heute vielleicht mehr denn je. Aber im Gegensatz zu damals können wir dem Tiger in die Augen sehen: Wir können unsere Situation weitaus mehr beeinflussen als nur zwischen Flucht und Angriff zu entscheiden. Je bewusster wir uns Ängsten stellen, desto besser können wir damit umgehen.

Gilbert hatte Recht: wir können nicht alles kontrollieren, aber wir können unsere eigenen Handlungen und Gedanken bewusst steuern. Auch Viktor Frankl, Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, erinnerte in seinen Vorträgen immer wieder daran, dass wir aus einer selbstverantwortlichen Haltung heraus zwar nicht die Umstände ändern können, in denen wir leben, aber unsere Einstellung dazu.

Diesem Gedanken folgend können wir alle auch in Zeiten einer Pandemie unsere vermeintliche Hilflosigkeit überwinden und uns selbst in eine Position des Gestalters bringen – keine Flucht, kein Kampf, sondern durch proaktives Handeln. Immerhin können wir kontrollieren, was wir (!) tun.

Hier sind 3 Tipps für den Umgang mit Unsicherheit in Zeiten von Pandemie und Klimawandel.

1. Spüre Dich und Deinen Körper mit allen Sinnen

  • Gib‘ Dir immer mal wieder einen Moment Zeit, um zu realisieren, was und wie Du Dich gerade fühlst – und diesen Zustand anzunehmen. Gerade in ungewissen Zeiten ist es wichtig, unsere Gedanken und Gefühle wahrzunehmen. Ganz nach dem Grundsatz „If you name it, you can tame it“ (wenn du es benennen kannst, kannst du es zähmen).

  • Verbinde Dich mit Deinem Körper und spüre ihn, das ist manchmal leichter gesagt als getan. Ein paar praktische Ideen: presse Deine Füße langsam und fest auf den Boden; atme tief ein und aus und nehme Deinen Atem bewusst wahr, z.B. am Bauch oder im Brustbereich; presse Deine Fingerspitzen langsam zusammen. Wichtig ist, dass es hierbei nicht darum geht, Dich selbst abzulenken oder unangenehme Gefühle zu verdrängen. Das Ziel ist, diese bewusst wahrzunehmen UND Dich in Deinem Körper zu erden.

  • Achte auf das, was Du jetzt gerade tust. Hierbei kann es helfen, 5 Dinge zu benennen, die Du siehst; 4 Dinge, die Du hörst; 3 Dinge, die Du schmeckst oder riechst.

Meine Erfahrung zeigt, dass eine hilfreiche Routine daraus wird, wenn Du die drei Schritte langsam drei bis vier Mal hintereinander wiederholst, sodass eine ca. 3-4-minütige Übung daraus wird. Du kannst sie auch mehrmals am Tag anwenden, sogar dann, wenn Du unterwegs bist. Von außen sieht vermutlich niemand, was Du gerade machst, aber die innere Kraft und der Fokus auf das Wesentliche lassen Dich ruhiger werden.

2. Pflege Deine sozialen Kontakte, denn Du bist nicht allein.

  • Wie wäre es, wenn Du das nächste Mal das direkte Gespräch suchst, anstatt nur kurz eine Textnachricht zu schreiben. Die Stimme eines guten Freundes zu hören, gemeinsam zu lachen (oder auch zu weinen) lässt uns Nähe spüren – und den wilden Tiger da draußen ein bisschen weniger bedrohlich erscheinen.

  • Und für viele von uns ist es wieder möglich, enge Freunde oder Bekannte in Person zu treffen. Selbst wenn es nur ein kurzer Spaziergang in der Mittagspause oder das kurze Gespräch nach Feierabend ist.

  • Sag‘ danke, das tut Deinem Gegenüber gut und Dir selbst auch. Egal, ob es beim Einkauf im Drogeriemarkt ist oder in einer E-Mail an Deine Kollegin.

3. Fokussiere Dich auf heute (nicht auf gestern, nicht auf morgen)

  • Überlege Dir eine Sache, die Dich heute in Deinem Alltag unterstützt: vielleicht kannst Du jemandem um Unterstützung beim Einkauf oder bei der Kinderbetreuung bitten, vielleicht sind es heute auch lediglich 10 Minuten Ruhe bei einer Tasse Tee am Nachmittag, die Dich gut durch den Tag bringen.

  • Was kannst Du jetzt konkret tun, um gut für Dich und Deine Lieben zu sorgen? Es ist erstaunlich, wie viel das Lieblingsessen, ein Anruf oder eine kurze Umarmung manchmal ausmachen können.

  • Denke an etwas, für das Du heute in diesem Moment dankbar bist – egal, wie groß oder klein es auch erscheinen mag.

So bietet der Herbst neben vielen Herausforderungen auch eine Menge wertvoller Momente, in denen wir nicht allein sind. Schließlich stecken wir da alle zusammen drin, auch in den guten Zeiten.

Trau‘ Dich und sei verrückt: gib‘ dem Pandemie-Tiger einen Namen und beginne Schritt für Schritt, ihn zu zähmen. Vielleicht wird aus dem wilden Tier eines Tages ein Schmusekätzchen, was Dich nur noch im Entfernten an Flucht oder Kampf erinnert.

Vielmehr könnte er sich zu einer Erinnerung daran entwickeln, was es bedeutet, Deinen Fokus auf das zu legen, was uns wichtig und was möglich ist – nicht gestern oder morgen, sondern heute.

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Für einen Porno wäre das vermutlich nichts Ungewöhnliches: monatlich über 1,5 Millionen Besucher auf der Website; eine überdurchschnittlich hohe Dichte von „geil“ und „scheiße“ in der Ausdrucksweise; mehr als 8 Millionen verkaufte Exemplare, bei denen einem die Vulgarität förmlich ins Gesicht springt. Aber das Ganze bei einem Buch über den Sinn des Lebens? In der heutigen Zeit?

Die Faszination des Buches, um das es hier gehen wird, liegt wohl darin, dass es weit über den unmittelbaren Blick auf intime Erfahrungen eines Mannes hinausgeht und zeigt, warum jeder von uns sein Leben selbst in der Hand hat.

Ein Blick auf die Zahlen verrät gleich, dass da mehr dran sein muss als nur Effekthascherei und Triebbefriedigung

Wenn wir die New York Times-Bestseller-Liste als Indiz für die Themen ansehen, die aktuell in der Gesellschaft wichtig sind, wird klar, dass Werte und Sinn total im Trend sind.

Mark Manson – der amerikanische Blogger, dessen eingangs erwähnte Website 1,5 Millionen Besucher pro Monat anzieht – verbrachte mit seinem Buch „The Subtle Art of Not Giving a Fuck“ (dt. Titel: „Die subtile Kunst des Draufscheißens“) mehr als drei Jahre auf dieser Liste. 179 Wochen, um genau zu sein.

Was ist dran an einem Menschen und dessen Schilderungen in seinem Buch, das für mich die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet und trotzdem über acht Millionen Mal verkauft und in 30 Sprachen übersetzt wurde?

Tiefer Sinn statt sexy Selfies?

Der gesellschaftskritische Autor hat den Nerv der Zeit getroffen, indem er gesellschaftliche Themen wie Massenkonsum, Selbstoptimierung und den stärker werdenden Zwang zur Inszenierung thematisiert und harsche Kritik daran übt. Sexy Selfies, höchste Produktivität, geile Sportwagen – was soll das alles, fragt er?

Mark Manson hat das Bedürfnis von uns Menschen klar benannt: Kontrolle über das eigene Leben zu haben, zumindest augenscheinlich. Und er zeigt am eigenen Beispiel, dass die Sehnsucht nach Werten wie Ehrlichkeit, Mitgefühl und einem tieferen Sinn im Leben aktuell wieder da ist.

Aber im Kern war das Streben nach Sinn nie weg bei uns Menschen.

Ganz im Gegenteil, es ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis als solches: der Wille zum Sinn und die Fähigkeit, darüber nachzudenken, ist es erst, was uns überhaupt menschlich macht.

Die Sehnsucht danach, ein sinnvolles Leben zu führen, verbindet uns. Sie hat jetzt nur eine weitere, andere Ausdrucksform gefunden, nämlich die der Popkultur mit häufigen Grenzüberschreitungen, großer Ambivalenz und dem Gebrauch von Massenmedien.

Leidvoll und sinnvoll, zufällig ganz persönlich?

Als Viktor Frankl sein Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ nach dem zweiten Weltkrieg (1946) veröffentlichte, wurde es ohne die heutigen Massenmedien zum Bestseller. Dies lag bestimmt auch in der direkten, schockierenden und gleichzeitig berührenden Ehrlichkeit begründet, mit welcher der Arzt und Psychotherapeut seine Erlebnisse im Konzentrationslager schilderte.

Vor allem lag es wohl daran, dass er authentisch und nachvollziehbar aufzeigte, warum unser menschlicher Wille zum Sinn auch in schwersten Krisen erfüllt werden kann – und damit Mut machte in einer Zeit, in der das Bedürfnis nach Zuversicht und Sinn besonders ausgeprägt war.

Durch seine persönlichen Erfahrungen im Konzentrationslager, die an Brutalität und Menschenverachtung bis heute kaum zu begreifen sind, zeigte Viktor Frankl, dass wir auch im Leiden Sinn entdecken können, ja dass das Leiden selbst einen Sinn hat. Er war es, der durch seine Schilderungen und die daraus folgenden Grundgedanken der Logotherapie klarmachte, dass wir dem Leben zu jedem Zeitpunkt einen Sinn „abringen“ können – und ja, das verlangt die bewusste Auseinandersetzung mit und Arbeit an uns selbst. Und ganz egal, wie schei*e es auch gerade sein mag, es liegt immer an uns selbst, diesen Sinn zu entdecken. Wie gut, dass es Bücher wie dieses gibt.

Fügung oder Ausdruck von Menschlichkeit?

Ist es nun wirklich ein Zufall, dass Mark Manson, der meinen Recherchen zufolge nichts von Viktor Frankl wusste oder weiß, eines seiner Kapitel „Der Wert des Leidens“ genannt hat? Oder dass ein anderes Kapitel den Titel „Man hat immer die Wahl“ trägt und dabei die Wichtigkeit von Verantwortung und bewussten Entscheidungen in den Mittelpunkt stellt? Oder auch, dass er im letzten Kapitel „Und dann stirbst du“ von etwas spricht, das „jenseits von uns selbst liegt“? Viktor Frankl hat genau das Selbsttranszendenz genannt.

Die Parallelen dieser zwei Bücher zeigen klar auf, dass wir Menschen – egal zu welcher Zeit, in welcher Gesellschaft oder Generation – gar nicht umhinkönnen, uns mit Werten und Sinn im Leben auseinander zu setzen? Eben, weil wir Menschen sind.

Wir selbst, niemand sonst

Persönliche Geschichten und Erfahrungsberichte wie diese machen deutlich, dass es an uns selbst liegt, die für uns wichtigen Werte zu identifizieren, klare Entscheidungen zu treffen und den Sinn im ganz eigenen Alltag zu entdecken. Manchmal fühlt sich das beschissen an, weil nur wir selbst und niemand anders etwas dafür tun können.

Und dann fühlt es sich großartig an, weil nur wir selbst (und niemand anders) etwas dafür tun können.

Krasse Geschichten, krasse Unterschiede – und Gemeinsamkeiten

Verschiedene Generationen gehen anders mit der Sinnsuche und der darin liegenden Verantwortung um. Sie nutzen anderen Medien, folgen anderen Menschen und haben andere Ausdrucksformen.

Viktor Frankls Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ wurde bis zum Zeitpunkt seines Todes 1997 über 10 Millionen Mal gekauft und in 24 Sprachen übersetzt. Seine Kernbotschaften über den Sinn im Leben werden nie an Aussagekraft verlieren. Vielleicht aber scheuen manche Menschen heutzutage die direkte Konfrontation mit den sehr eingängigen Schilderungen. Vielleicht wirken die Erinnerungen des Autors für andere ganz weit weg, nicht annähernd wie ein Teil ihrer Lebenswirklichkeit. Es können solche Gründe sein, dass die heutige Leserschaft deswegen besser an die teils profan wirkenden Erlebnisse eines jungen Amerikaners andocken als an die eines KZ-Überlebenden.

Mark Manson wuchs in einer anderen, wirtschaftlich und gesellschaftlich stabileren Zeit auf. Er musste nicht einen Tag im Konzentrationslager leiden. Er weiß wohl nicht, was es bedeutet, wirklich Hunger zu haben.

Und doch gelingt es ihm, seine eigenen leidvollen Erfahrungen und Herausforderungen der heutigen Zeit ehrlich und unverblümt zu teilen – mit viel „scheiße“ und „geil“, was eine seltsame Nähe schafft.

Er spricht offen über Schicksalsschläge, wie den Tod seines besten Freundes im Teenageralter. Und er fordert uns auf, den Sinn im eigenen Leben zu suchen, auch wenn es schwer ist. Der amerikanische Blogger hat sein leidvolles Dasein als „Loser“ (Mark Manson) in eine sinnstiftende Tätigkeit als Autor transformiert. Und dadurch Millionen von Menschen berührt, schon krass.

Wie wir alle, egal welcher Generation wir angehören, wird sich Mark Manson weiterhin danach sehnen, ein sinnvolles Leben zu führen und entsprechend der für ihn richtigen Werte zu leben. Er wird immer mal frustriert sein, dass er nicht alles im Leben haben kann und dann doch erleichtert, weil er gelernt hat, Sachen bewusst abzulehnen, die nicht gut für ihn sind. Er wird um Sinn ringen. Und er wird den Tod nicht als Bedrohung ansehen, sondern als Erinnerung dafür, wie wertvoll das Leben ist. „In der Rückschau ist der Tod jedoch auf eine bizarre Art und Weise das Licht, durch das der Schatten von jeglichem Sinn im Leben gemessen wird. Ohne den Tod würde sich alles belanglos anfühlen, jede Erfahrung wäre beliebig, alle Kennzahlen und Werte plötzlich gleich null“ (eigene Übersetzung).

Inspiration, Mut, Zuversicht von anderen – und die Aufgabe liegt bei uns selbst

Menschen wie Viktor Frankl oder Mark Manson, die unterschiedlicher nicht sein könnten, können uns Mut machen, nach einem Sinn im Leben zu suchen, auch wenn es verdammt schwer sein kann. Sie können uns inspirieren, doch wir selbst müssen jetzt ran. Was diese zwei Persönlichkeiten vereint, wenngleich in einer anderen Zeit und in einer anderen Sprache, dann ist es die Überzeugung, dass es sich lohnt, auf das zu schei*en, was uns keinen Sinn bietet. Und uns für das zu entscheiden, was gut und wertvoll ist. Das stimmt zuversichtlich.

Wunderschön oder beschissen – aber immer sinnvoll ist es, unserer Verantwortung nachzukommen und Sinn im eigenen Leben zu suchen. Hier und jetzt.

(Weitere) Perlen für moderne Tiefseetaucher:

Ein Artikel von: Dr. Nina Bürklin.

 

 

„Wozu fordert uns diese Situation heraus?“ war und ist eine Frage, die wir uns in unserer Rolle als Referenten seit Ausbruch der Pandemie immer wieder gestellt haben.

Prozesse und Abläufe, die wir in unseren zahlreichen Fortbildungen über Jahre erarbeitet und erfolgreich angewandt hatten, wurden plötzlich unmöglich, weil keine Präsenzveranstaltungen mehr erlaubt waren

Nun lag und liegt es also an uns selbst, die freien Bereich zu erkennen und neue Möglichkeiten in der Online-Vermittlung von Lerninhalten zu entdecken.

Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die Reichweite von Uni-Kursen plötzlich weit über Studenten in München hinausgehen kann und auch internationale Teilnehmer aus der Türkei, Ghana oder Italien dabei sind? Und ist es nicht erstaunlich, dass gerade digitale Tools eine gut geführte, nachvollziehbare Diskussion zwischen Dozent und Teilnehmern ermöglicht?

Entgegen aller Vorbehalte, die wir im März 2020 noch hatten, ist auch in zwei-tägigen Fortbildungen bisher niemand eingeschlafen. Das Teilnehmer-Feedback wie auch die Lernerfolge sind nachweislich die gleichen.

Uns macht das Mut, weiter neue Wege zu gehen – auch dann, wenn wir eines Tages besser mit dem Virus umgehen gehen. Für Sie haben wir deswegen unsere wichtigsten Learnings für Online-Fortbildungen zusammen gestellt.

Vor der Sitzung / Session

  • Einen eigenen, ziemlich detaillierten Plan, zur zeitlichen Einteilung der Fortbildung erstellen. Wichtig ist hierbei, auch ausreichend Pausen (für sich selbst und die Teilnehmer) einzuplanen.
  • Unbedingt notwendig: mit der entsprechenden Software und deren Funktionsweise auseinandersetzen. Hilfreich kann auch ein Test im privaten Umfeld sein, ob alles funktioniert; dazu gehört u.a. auch der Umgang mit Slides bei gleichzeitigem Einblenden der Teilnehmer.
  • Eine stabile Internetverbindung sicherstellen!
  • Leitlinien für Teilnehmer zur Vorbereitung auf die Online-Fortbildung schicken (z.B. Video an, Ton aus, stabile Internetverbindung sicherstellen).
  • Das inhaltliche Material (zum Beispiel Charts) vorab zur Verfügung stellen, üblicherweise per e-Mail.
  • Teilnehmer sollten sich bei einem Meeting (z.B. Zoom) mit ihrem richtigen Namen benennen, sodass man besser zusammenarbeiten kann.
  • Nach Möglichkeit sollten alle Teilnehmer ihr Video standardmäßig angeschaltet haben, dafür aber das Mikro ausgestellt. Die Stummschaltung kann und sollte natürlich aufgehoben werden, um ins Gespräch zu kommen oder zu einer Diskussion beizutragen. Es ist jedoch wichtig, Teilnehmern zu Beginn zu erklären, dass Hintergrundgeräusche (z.B. Müllauto fährt vorbei, Hund bellt, Kinder streiten) die Audioverbindung der aktuellen Sprecher stört, und dass es daher wichtig ist, das eigene Mikro. nur anzustellen, wenn man selbst spricht.
  • Nach Bedarf interaktive Tools wie Wordclouds (z.B. mentimeter) oder virtuelle Whiteboards (z.B. miro) mit entsprechenden Fragen und Links vorbereiten.
  • Den Umfang und die zeitliche Struktur klar an die Teilnehmer kommunizieren. Auf welche Zeitblöcke und welche Pausen können sie sich einstellen?

Während der Sitzung / Session

  • Es hat sich als sehr hilfreich erwiesen, eine sog. Seminarbetreuung zu haben, die sich z.B. um Fragen / Kommentare im Chat kümmert und bei technischen Problemen der Ansprechpartner ist.
  • Wenn Probleme oder Fragen auftreten, Teilnehmer ermutigen, kurz das Mikro einzuschalten und Fragen direkt auszusprechen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass technische Probleme nicht vom Referent geklärt werden können – alle anderen Teilnehmer bezahlen gerade für Fortbildungsinhalte. Stellen Sie also sicher, dass Sie einen technischen Support haben.
  • Die Teilnehmer bewusst und direkt ansprechen, gerne auch mit dem Namen (sofern es sich natürlich anfühlt).
  • Immer wieder den direkten Blickkontakt suchen: dafür immer wieder direkt in die Kamera schauen (auch wenn es sich am Anfang merkwürdig anfühlt).
  • Gestik und Mimik bewusst einsetzen; mit den Händen zu gestikulieren kann hilfreich sein, wenn ein ausreichender Abstand zur Kamera besteht.
  • Klare Erklärungen über das eigene Verhalten geben, z.B. ich teile jetzt meinen Bildschirm, um Ihnen das Schaubild zu zeigen.
  • Den Teilnehmern ausreichend Zeit lassen, auf Fragen zu antworten – dies kann manchmal länger dauern als in Präsenz-Veranstaltungen.
  • Zwischendurch immer mal wieder „einchecken“, ob auf Teilnehmerseite alles gut ist (generell gut, nicht nur im Online-Kontext).
  • Balance finden zwischen Wissensvermittlung (eher im Vortragsstil) und interaktiven Elementen (bspw. Gruppenarbeit, Diskussionen im Plenum, etc.)
  • Falls möglich und gewünscht, Gruppenarbeit in Break-Out-Groups anbieten.

Nach der Sitzung / Session

  • Sofern benötigt, Follow-Up mit Links zu Artikeln oder anderes Material verschicken (üblicherweise per E-Mail).
  • Ganz wichtig: anonymes Feedback einholen, zum Beispiel kostenfrei über Google Forms oder Typeform. Dies ermöglicht dem Referenten, für zukünftige Fortbildungen dazu zu lernen und die wertvollen Rückmeldungen über Erfahrungen in weitere Veranstaltungen einfließen zu lassen.

 

Ein Artikel von: Dina Roos & Dr. Nina Bürklin.

Wenn uns jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass 95-Jährige sich in Online-Behandlungen einwählen und diese mit messbar vergleichbarem Erfolg absolvieren, wie noch in 2019 in der Präsenz-Therapie, hätten wir das nicht geglaubt.

Seit Ausbruch der Corona-Krise haben sich auch Therapeuten getraut, das, was für Meetings im wirtschaftlichen Bereich weltweit seit Jahren gut funktioniert, auf die Therapie-Situation zu übertragen. Wir haben mit Faszination miterlebt, wie Patienten und Therapeuten gemeinsam mit Erfolg gewachsen sind. Langjährige Erfahrungen mit Video-Calls und Online-Meetings der Wirtschaft haben hier den Weg geebnet.

Eins ist klar: Online-Sitzungen werden nie die persönliche Begegnung ersetzen. Das ändert aber nichts daran, dass wir in der aktuellen Zeit Herausforderungen und Risiken gegenüberstehen, die wir als Therapeuten und Coaches nicht leugnen können.

Auch wir hätten vor einem Jahr noch in Frage gestellt, ob es möglich ist, zu einem Menschen, mit dem man nur über Bildschirm arbeitet, einen persönlichen und direkten Kontakt aufzubauen. Können wir unseren Patienten/Klienten wirklich begegnen? Können wir sie spüren? Können wir sie online darin begleiten, ins Spüren zu kommen?

Nach nunmehr einem Jahr Erfahrung mit Online-Behandlungen ist es für uns umso beeindruckender, wie wertvoll eine Session online sein kann.

Auch wenn wir in einem andauernden Lernprozess für Online-Therapie und Coaching sind, haben wir unsere eigenen Erfahrungen gesammelt. Wir haben im weiteren Verlauf die für uns wichtigsten Erkenntnisse der letzten Monate für Sie zusammengefasst.

Vor der Sitzung / Session

  • Rechtzeitig die Plattform angeben, die genutzt wird, sodass Klienten/Patienten sich vorbereiten können. Es hat sich als sehr sinnvoll erwiesen, vor tatsächlicher Terminvereinbarung einen kurzen Testdurchlauf anzubieten.
  • Eine stabile Internetverbindung sicherstellen.
  • Eigener Technik-Check:
    • Funktioniert die Audio-Funktion (Mikro checken); das eigene Umfeld sollte so ruhig wie möglich sein, um Störgeräusche zu vermeiden.
    • Funktioniert die Video-Kamera?
    • Licht: idealerweise von vorne; die Lichtquelle sollte nicht hinter Ihnen sein
    • Höhe der Kamera (ggf. integriert im Laptop): am besten auf Augenhöhe
    • Sitzposition: eine gute Armlänge entfernt vom Bildschirm
  • Technik-Check mit dem Patienten/Klienten:
    • Hat er/sie die entsprechende Software installiert?
    • Im kurzen Testtermin gemeinsam üben, wie die Sitzung initiiert wird (o.)?
  • Wie bei jeder anderen Sitzung/Session auch: vorbereiten mit Notizblock oder Textprogramm – bei Verwendung eines Textprogramms ist es wichtig, mit Klienten zu besprechen, dass Sie am Computer dokumentieren – Klienten ermutigen, dass sie bitte sofort sagen, wenn sie sich durch das Klickgeräusch gestört / abgelenkt fühlen – in dem Fall analog mitschreiben.
  • Was Sie ohnehin tun: frische Luft reinlassen, ggf. mit einem Glas Wasser ausrüsten etc. Und dann kann’s losgehen!

Während der Sitzung / Session

  • Im Vorfeld besprechen, welche Problemstellungen eine Behandlung übers Internet aufwerfen kann. Wir teilen gerne, was wir sagen:
    • Aufgrund zeitverzögerter Tonübertragung kann es passieren, dass wir uns vielleicht mal ins Wort fallen. Da möchte ich, dass Sie im Vorfeld wissen: das ist nicht unhöflich gemeint, sondern das kann daran liegen, dass wir uns gegenseitig manchmal erst eine Sekunde zeitverzögert hören. Wenn wir merken, dass das passiert, müssen wir einfach nur ausmachen, wer jetzt dran ist.
    • Manchmal kann die Internetverbindung instabil werden, weil vielleicht gerade der Sohn vom Nachbar die aktuellen Hausaufgaben für den Lehrer hochladen muss. In diesen Situationen bleibt dann vielleicht mal unser Bild stehen oder wir hören uns kurz nicht richtig. Das geht erfahrungsgemäß nicht länger als ein paar Sekunden. In solchen Situationen sagen wir einfach belanglose Dinge, z.B. übers Wetter, oder was wir heute anhaben, bis wir uns wieder gut hören und sehen. Wichtig ist: wir lassen uns durch so etwas nicht aus der Ruhe bringen. Das ist dann wie Regen.
    • Und manchmal ist einfach der Wurm drin und unsere Klienten kriegen die Audioverbindung gar nicht hin, oder der Rechner kühlt und macht so starke Geräusche, dass es sich anhört, als würde im Raum des Klienten der Staubsauer laufen. In solchen Fällen rufen wir unsere Klienten einfach auf dem Handy an und stellen die Lautsprecher an. Wichtig: Sofort Lautsprecher unserer Internetplattform ausschalten – sonst haben wir eine unangenehme auditive Rückkopplung. So behalten wir das Bild unserer Klienten und können uns problemlos übers Handy hören.
  • Direkten Blickkontakt suchen: dafür immer wieder direkt in die Kamera schauen (auch wenn es sich am Anfang merkwürdig anfühlt). Dies gilt inbesondere in Sprechpausen, wenn sie Ihrer/m Klient(in) das Gefühl bestätigen wollen, dass Sie mitfühlen bzw. ganz bei Ihr / ihm sind. Dafür ist auf Klientenseite essentiell wichtig, dass sie sich angeschaut fühlen.
  • Gestik und Mimik bewusst einsetzen; mit den Händen zu gestikulieren kann hilfreich sein, wenn ein ausreichender Abstand zur Kamera besteht.
  • Klare Erklärungen über das eigene Verhalten geben, z.B. „ich teile jetzt meinen Bildschirm, um Ihnen ein Schaubild zu zeigen.“
  • Dem Patienten/Klienten ausreichend Zeit lassen, auf Fragen zu antworten. Beachten Sie auch im laufenden Gespräch, dass eine zeitliche Verzögerung in der Tonübertragung das Risiko bergen kann, dass man sich ins Wort fällt.
  • Manchmal müssen wir aber auch ins Wort fallen, weil Klienten sich verzetteln oder vor Gefühlen ‚davonlaufen‘. In diesen Fällen signalisieren kann man gestisch das Timeout formulieren und dazu sagen: „Ich würde Sie an dieser Stelle gerne unterbrechen. Sie haben da gerade etwas ganz Wichtiges gesagt. Geben Sie sich mal diesen Raum, dem Gesagten nachzuspüren. Darf ich nochmal wiederholen, was Sie da gerade gesagt haben?“

Nach der Sitzung / Session

  • Vor dem Ende ist nach dem Ende. Uns muss spätestens 5 Minuten vor dem Ende der Sitzung klar sein, dass wir kein neues Fass mehr aufmachen. Nachdem das Ende sich abrupt anfühlen wird, müssen wir in den letzten Minuten ganz bewusst Tempo rausnehmen und durch eine Zusammenfassung der Stundeninhalte unsere Klienten auf das Ende vorbereiten.
  • Das Online-Meeting für beide Seiten bewusst beenden. Wenn möglich, unseren Klienten zuerst das Meeting verlassen lassen. Falls dies unseren Klienten überfordert, verbalisieren: „Ich beende jetzt gleich das Meeting für uns beide. Das ist ein abruptes Ende, weil wir nicht mit dem Umweg über die Garderobe Räumlichkeiten verlassen. Wir verabschieden uns jetzt also ganz bewusst.“
  • Das Ende dieser Sessions fühlt sich anders an als in der Präsenzbehandlung. Gestatten Sie als durchaus Raum für Winken und 2x bewusstes „Auf Wiedersehen“-Sagen.
  • Aufstehen, kurz bewegen, ggf. frische Luft reinlassen.
  • Durchatmen und einen eigenen Abschluss finden.